Schlagwort-Archive: Religionsfreiheit

Birin: eine besondere Methode, palästinensisches Land zu beanspruchen

Israelische Siedler in Palästina haben verschiedene Formen der Landbeanspruchung entwickelt:

  • sie bebauen es einfach

  • sie bearbeiten es

  • sie ernten, was sie nicht gesät haben

  • sie zäunen es ein

  • sie erklären es als Naturpark oder archäologisches Gelände

  • sie halten dort religiöse Zeremonien ab, wie in Birin…

Morgens um 6 Uhr hiess es heute „auf nach Birin“! Birin ist ein ganz besonderer Ort in der Nähe von Yatta, aber in Area C, d.h. in dem Gebiet, in dem Israel die Oberhoheit über zivile und militärische Angelegenheiten hat, also über alles (Area C ist mehr als 60% der Westbank, die ja eigentlich, zusammen mit Gaza, der palästinensische Staat werden sollte, laut den Abkommen von Oslo 1993/1994).

Birin : Blau die von Israel kontrollierte Zone C. , violett die Siedlungen und gelb die von der Palästinensischen Autnomiebehörde kontrollierte Zone A.
Birin : Blau die von Israel kontrollierte Zone C. , violett die Siedlungen und gelb die von der Palästinensischen Autnomiebehörde kontrollierte Zone A.

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Weihnachten in Bethlehem

Heute ist der 25. Dezember! Wenn wir nicht gestern hier in Bethlehem angekommen wären, um zusammen mit allen anderen EAPPI-Teams Weihnachten zu feiern, hätte ich es glatt vergessen!

Früh aufgestanden, im Expresstempo gefrühstückt, denn unser Hotel «Bethlehem Inn» ist, abgesehen von unserer kleinen Gruppe, ungemütlich kalt und fast leer. Dann marschiert ein kleiner Trupp von uns los zum Checkpoint 300 von Bethlehem, um den Zugang zu den wichtigen Orten religiöser Praxis zu beobachten: heute ist Freitag, und die Muslime und Musliminnen (oder MuslimInnen) möchten in der grossen Moschee beim Al Aksa-Schrein beten; es ist Weihnachten, und die Christen und Christinnen aus Bethlehem möchten zum Gottesdienst oder zur Messe nach Jerusalem… Das Publikum, das wir am Checkpoint entdecken, ist ganz anders als das vom Checkpoint Meitar in unserer Region südlich von Hebron: sonntäglich herausgeputzte Grossfamilien, viele Menschen mit einem Kreuz um den Hals, doch sonst sieht man keine grossen Unterschiede, ausser dass die muslimischen Frauen ihr Tuch manchmal sehr schick in den verschiedensten Varianten um den Kopf schlingen.

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Ein ganz normaler Morgen am Checkpoint

Checkpoint Qalandiya zwischen Ost-Jerusalem und Ramallah: Mit müden Augen von der frühen Tagwache um halb vier zähle ich die Menschen, die durch das schwere Metalldrehkreuz aus dem Dunkeln des Checkpoints treten. Mehr als 2000 werden bis um halb acht vorbeiströmen. Verschlafen binden sich die Männer ihre Gurte um, die sie im Checkpoint abziehen mussten. Die Kontrollen am Checkpoint erinnern an Flughafenkontrollen – mit dem Unterschied, dass die Menschen hier dieses zeitraubende Prozedere täglich absolvieren und der Ausbau des Checkpoints einem Gefängnis gleicht. Viele erwidern mein „sabah al-khair“ erfreut mit einem „good morning“ und machen sich für die Weiterfahrt auf zu den Bussen, meistens zur Arbeit.

Männer auf dem Weg zur Arbeit in Qalandiya ©EAPPI/2015
Männer auf dem Weg zur Arbeit am Ausgang des Checkpoints Qalandiya ©EAPPI/2015

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Drei Geschichten aus Qalandiya

 Die Nacht der Bestimmung, ein Graffiti-Star und tödliche Schüsse

 

Junge Frauen dürfen nicht nach Jerusalem.
Junge Frauen dürfen nicht nach Jerusalem.

1.

Abendstimmung am Checkpoint Qalandiya, wo die Mauer Jerusalem von der Westbank trennt. Anbruch der letzten Woche des Fastenmonats Ramadan. Im Islam ist heute die Nacht der Bestimmung (Laylat al-Qadr), in der der Koran erstmals offenbart wurde. Zuerst beobachten wir die Menschenmenge, getrennt in Frauen und Männer, die zu den Bussen zur Jerusalemer Altstadt strömen. Eine Viertelmillion Menschen sollen es diesmal sein. 150’000 Gratisessen erwarten sie auf dem Platz vor der Al-Aqsa-Moschee.

Grenzpolizei entscheidet, wer nach Jerusalem darf.
Grenzpolizei entscheidet, wer nach Jerusalem darf.

Da es hier regulär und entspannt zugeht, durchqueren wir das riesige Checkpoint-Gelände. Jetzt sind wir in der Westbank bei Ramallah. Dunkelheit bricht herein. Es erwartet uns ein unglaubliches Durcheinander von Privatautos, Sammeltaxis, Lieferwagen. Erste Falafel-Stände werden aufgebaut. Bald ist der Zeitpunkt des Fastenbrechens. Am Eingang zur Kontrolle sitzen viele junge Frauen auf Betonblöcken. Ihnen ist offiziell der Zugang verwehrt, Durchlass erst ab 30 Jahren. Die israelische Verwaltung hat während des Ramadans die Regel geändert, laut der alle Frauen zur Moschee hätten pilgern können. Jetzt werden Wasserflaschen ausgepackt. Jede nimmt einen grossen Schluck und greift nach dem ersten Happen. Gratisessen wird auch hier verteilt und untereinander ausgetauscht.

Manche Mädchen werden vor der Zeit verhüllt.
Manche Mädchen werden vor der Zeit verhüllt.

Unser Augenmerk gilt der Alterslimite und wie strikte sie von Grenzpolizei und SoldatInnen angewendet wird. Viele unter 30-Jährige probieren es einfach, kommen aber schnell wieder durch den Tunnel der Abgewiesenen zurück. Eine grössere Gruppe tut sich zusammen, skandiert „Gleiche Rechte für alle!“ und versucht den ersten Kontrollpunkt zu stürmen. Die vorderste wird gleich festgenommen. Der Widerstand bricht zusammen, aber die immer grösser werdende Gruppe der jungen Frauen wartet weiterhin auf ihr Glück ausserhalb der Sperranlage.

Wir wechseln der Mauer entlang zum separaten Eingang für Männer. Hier dürfen nur über 50-Jährige durch. Jüngere Familienväter mit drei, vier Kindern versuchen es vergeblich. Schwer für sie den eigenen Kindern den Grund für die Abweisung zu vermitteln.

Im Innern des Checkpoint geht es durch Käfig-Korridore.
Im Innern des Checkpoint geht es durch Käfig-Korridore.

Einer der Erfolglosen sagt uns: „Wo steht in der Tora, dem Koran oder der Bibel, dass man 50 zu sein hat um zu beten?“ Recht hat er: Die Religionsfreiheit ist ein elementares Grundrecht und damit auch der Zugang zu religiösen Stätten. Israels Administration kümmert das im Moment nicht. Schnell wird die Stimmung unter den Männern aggressiver. Sie steigen auf die Betonabsperrungen und machen ihrem Unmut lautstark Ausdruck. Die Uniformierten

bleiben bei ihrem extrem willkürlichen Regime: Die einen werden durchgelassen, die anderen nicht. In der Dunkelheit sind die Permits ohnehin kaum lesbar. Viele werden abgewiesen. Wieso ist häufig unklar. Versuche den Eingang zu stürmen, werden mit einer Verstärkung der ersten Kontrollinie von Grenzpolizisten beantworten. Wer zu nahe kommt, wird brutal zurückgestossen. Nochmals: Die Männer wollen nur zum Gebet nach Jerusalem, weil ihre Religion das so will. Weiter nichts.

Der Mauer entlang zum Checkpoint.
Der Mauer entlang zum Checkpoint.

Erst spät in der Nacht dürfen plötzlich alle durch. Kurz darauf wird der Checkpoint definitiv geschlossen. Auf der Frauenseite dasselbe. „Happy Laylat al-Qadr!“

2.

Unweit der Sperranlage soll ein Werk des legendären britischen Street-Art-Künstler Banksy zu sehen sein. Dass er die Mauer als Projektionsfläche gewählt hat, ist nicht zufällig. In Bethlehem entgeht kein Tourist der Versuchung, ausser der Geburtskirche auch DIE MAUER zu besuchen. Der acht Meter hohe Stahlbeton ist nach internationalem Recht überall illegal, wo er auf palästinensisches Territorium gebaut wurde.

Banksy-Werk vandalisiert.
Banksy-Werk vandalisiert.

Seit es die Mauer gibt, sei die Infiltration von Selbstmordattentätern auf fast Null zurückgegangen. Dafür sind aber auch Sicherheitsabkommen zwischen den beiden Staaten und das Ende der Intifada verantwortlich. Nicht zu vergessen, dass Tausende ertappt werden, die illegal in Israel arbeiten und dafür irgendwie an der Mauer vorbei über die interne Grenze gekommen sein müssen.

Ballon-Mädchen 2005.
Ballon-Mädchen 2005.

Die internationale Graffiti-Szene hat die Mauer in Beschlag genommen. An vielen Orten sind schon mehrere Schichten von Spray-Kunst und Sprayereien übereinander gelegt.

Freie Interpretation des Banksy-Motivs in Bethlehem.
Freie Interpretation des Banksy-Motivs in Bethlehem.
Shop um Banksy herum eröffnet.
Shop um Banksy herum eröffnet.

Vor zehn

Original: Gepanzerte Friedenstaube.
Original: Gepanzerte Friedenstaube.

Jahren hat der aus der Anonymität heraus arbeitende Engländer eines seiner über die ganze Welt verstreuten Projekte realisiert. Neun Bilder mit politischer Stosskraft hat er hinterlassen.

Bücher sind darüber veröffentlicht worden und seine Kunst ziert Postkarten, Plakate, Kühlschrankmagnete, Untersetzer, Einkaufstaschen.

In Bethlehem, wo man am einfachsten zum Mauer-Gucken kommt, gibt es bereits zwei Banksy-Shops. Einer wurde direkt um ein Banksy-Bild herumgebaut.

Interpretation im Ad Duheisha-Lager
Interpretation im Ad Duheisha-Lager

Auch in Qalandiya war der Spray-Mann aus Bristol tätig. Unweit des Checkpoints soll ein Mädchen an acht Ballonen über die Mauer fliegen. Allerdings wird der Mauer-Watcher enttäuscht: Am lange recherchierten Standort des Bildes waren bereits Vandalen am Werk. Das Mädchen in Schwarz ist nur noch zu erahnen, die Ballone streben grundlos Richtung Himmel.

(Banksy in Gaza: http://banksy.co.uk/index5.asp )

Der Stein als Waffe. Mural im Flüchtlingslager.
Der Stein als Waffe. Mural im Flüchtlingslager.

3.

Die Schlagzeile „Offizier erschiesst Flüchtenden bei Qalandiya“: Unweit vom Checkpoint beschädigt ein Teenager die Windschutzscheibe eines heranrollenden Militärfahrzeugs mit Steinbrocken. Das hat die Überwachungskamera einer Tankstelle festgehalten. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem hat nun das Video an die Öffentlichkeit gebracht: Aus dem Jeep stürmt Oberst Ysrael Shomer und schiesst. Den Rest erzählen Zeugen, so ein Tankstellenmitarbeiter und Ärzte des Spitals, in das der 17-jährige Palästinenser Mohammed Kasbeh eingeliefert wurde. Um ca. 6.30 Uhr sei auf 10 bis 15 Meter Distanz auf den flüchtenden Jungen geschossen worden. Der Offizier hätte dem am Boden Liegenden einen Tritt gegeben, bevor er zurück zum Fahrzeug geeilt und davongefahren sei. Keiner der drei Treffer sei im unteren Teil des Körpers zu finden gewesen sein, wie es die militärische Vorschrift zur Verhaftung von Flüchtenden vorschreibt.

Qalandiya mit Stadtteil A Ram (im Hintergrund), wo sich das Drama um den Teenager abgespielt hat.
Qalandiya mit Stadtteil A Ram (im Hintergrund), wo sich das Drama um den Teenager abgespielt hat.

Das israelische Militär gibt zu Protokoll, der Offizier hätte um sein Leben gefürchtet. Ob der unverhältnismässige Schusswaffengebrauch je ein gerichtliches Nachspiel haben wird, ist offen. Sarit Michaeli von B’Tselem bezweifelt, dass die Militärpolizei den Vorfall unvoreingenommen untersuchen werde. Vor allem weil für das Verhalten des hohen Offiziers in der israelischen Öffentlichkeit viel Verständnis geäussert wurde.

(Das B’tselem-Video: http://www.btselem.org/press_releases/20150712_killing_of_muhammad_ali_qusbah )

Marcus, EAPPI-Summer-Team, 2015

Ramadan: Kanonen, Gebete, Völkerwanderung

Zuerst ein Donnerknall, dann die Stimme des Muezzin vom nahen Minarett. Ein Kanonenschuss und das Abendgebet beenden den langen Fastentag. Es ist Ramadan in Jerusalem und die Muslime und Musliminnen erwarten diesen Moment mit nachlassender Geduld.

Schon Stunden vorher war die Spannung spürbar. Einer drehte fast durch: Mit Riesentempo rast er durch die Fussgängerzone, die Flanierenden springen zur Seite. Und auf der halb leeren Salah Eddin Street rempelt unversehens ein 10-Jähriger meine Kollegin an. Auch er nicht mehr ganz Herr seiner Bewegungen.

Im Restaurant war vor allem die letzte Viertelstunde hektisch: Zwei Kellner laden den Tisch voll für das „Ramadan Special“, ein Schälchen um das andere. Und nach dem Kanonendonner geht es jetzt los: Ein Glas Wasser, dann eine Dattel. Wir essen uns durch das volle Programm: Linsensuppe, Tomaten und Gurken in kleinen Würfeln, Falafel, gebratener Reis mit Nüssen, gebratenes Huhn, Yoghurt-Saucen, gefüllte Weinblätter, Essiggurken, Kartoffeln.

Die Mauer zwischen der Westbank und Jerusalem.
Die Mauer zwischen der Westbank und Jerusalem ©Marcus/EAPPI/2015

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